Es begann in einer düsteren Sonntagnacht.
Nebel lag über dem spärlich mit Fachwerk geschmückten Tal, an dem sich die dreißig Schüler am verlassenen alten Bahnhof versammelt hatten.Wenige Minuten später durchschnitt ein gefüllter Bus, unter der Führung des wackeren Manfred, die wabernden Nebelbänke. Immer der strahlenden Sonne entgegen, die schon bald die Finsternis vertrieben hatte, kreuzten sie zwei Ländergrenzen, bis sie sich schließlich von Bergen umgeben fanden. Schon bald schmälerten sich die Straßen und gaben den Blick frei auf die üppigen Apfelplantagen, an denen die Schüler sich noch im Laufe der kommenden Woche des Mundraubes schuldig machen sollten. Als der Bus zum Stehen kam, bahnten sich schließlich die müden Gesichter ihren Weg über das fürstliche Gelände geradewegs in den Speisesaal. Hungrige Mägen warteten in freudiger Erwartung darauf, was ihnen die südtirolische Küche hier an Köstlichkeiten wohl bieten möge.
Doch oh wie sehr wuchs die Enttäuschung über die nächsten Tage, als sich ein gelungenes Curry nach und nach in Schuhsohlen-ähnliche Schnitzel verwandelte. Ausgeglichen wurde dies immerhin von den vielseitigen Freizeit-Aktivitäten, die von Tischtennis über Volleyball bis hin zu einem spontan entwickelten Tischkicker-Run-Around reichten. Auch das Sterne- und Planetenschauen am klaren Himmel kam nicht zu kurz, als Herr Weissel mit seinem Teleskop Wege in ferne Galaxien öffnete.
Eingepfercht wie Vieh fanden sich je 12 Teilnehmende in einer stickigen Gondelkabine wieder, die sich am nächsten Morgen unermüdlich schwankend ihren Weg auf den Gitschberg bahnte. Kurz hatte die wiedervereinte Gruppe Zeit, befreiende Bergluft zu atmen, als sie auch schon ein 124 Stockwerke hoher und steiler Anstieg erwartete. Oben angekommen hatten ihre sechzig echten und acht falschen Wanderschuhe den ersten Reifetest bestanden, was den Schülern eine lange Selfie-Session ermöglichte.
Der Rückweg stellte die Bergsteiger vor die Wahl, die Gondel oder den Fußweg zu wählen, der mit einer steilen Rutsche lockte. Diese stelle sich als Segen und Fluch zugleich heraus, als nach einer spaßigen Rutschpartie so manche Hose von eingebrannten Löchern heimgesucht war.
Der folgende Morgen sollte der tapferen Gruppe eine weitere Bergbahnfahrt bescheren, doch machte sich Erleichterung breit, als sie diesmal Sessel zum Ausgangspunkt der Wanderung brachten. Krüppeltanne wich Strauch, Strauch wich Gras, und als die letzten bizarren Gewächse schwanden, fanden sich die Wanderer inmitten zerklüfteter Felsen wieder. Immer dem schmalen Grat folgend wurden sie durch ein endzeitliches Felsental geführt, das aus einer anderen Welt zu stammen schien: Steile Geröllhänge lösten meterhohe Felsen ab, die wie Türme am Wegerand thronten, Trümmer zerborstener Felskonstruktionen bestimmten die Landschaft. Als befänden sie sich auf den Spuren Sam und Frodos, führte ihr Schicksalsweg durch vom Schatten durchzogene Felsklüfte, von Geröll zugeschüttete Täler hinab und Steilhänge hinauf, bis schließlich auf einem Gipfel eine einzelne Hütte in Sicht kam. Nachdem eine letzte Anhöhe erklommen war, fand sich Zeit für ein uriges Mal unter anderen Gipfelbezwingern, bevor der beschwerliche Abstieg begann. Vielen würde das Bezwingen des Latemar-Massivs zwar als beste Wanderung in Erinnerung bleiben, den langen Abstieg jedoch würden sie davon ausschließen.
Und schließlich am dritten Tage der Woche ward gesprochen, es solle ein Tag der Ruhe sein für die schmerzenden Glieder der Wandersleut. Diese machten sich auf ins Zentrum der Stadt Brixen, zum Dom, einen Tempel des Herren, der dort steht in goldener Pracht zwischen den Ruinen verblichener Kirchenkunst. Ein Ort der Ruhe, in seinem Schlaf gestört durch das chronische Gekicher der Lehrerinnen Gimber und Fletschinger über die fantasiereiche Darstellung eines Elefanten an der Decke des Kreuzgangs.
Eine Führung durch die gegenüberliegende Hofburg der Fürstbischöfe sollte schließlich als Ergänzung zur Besichtigungstour der Kirchenkunst dienen. Sei es nun der Jugend oder der Übermüdung geschuldet, brachte diese aber statt der Erweiterung des Wissens vorallem einen vollen Kameraspeicher alberner Fotos von denkbar ungünstig proportionierten Statuen und Malereien pummeliger Engelchen hervor. Was jedoch in der Erinnerung bleibt, ist die Tatsache, dass südtirolische Künstler seit jeher dazu zu neigen scheinen, eigentlich hölzerne Statuen mit raffinierte Maltechniken in Marmor zu verwandeln. Eine Technik, die sich zweifellos auch in der Konzeption des Fürstenhof-Abendessens wiederfindet, da auch dessen Köche Meister darin sind, gehärtetes Leder auf den ersten Blick wie Schnitzel aussehen zu lassen.
Trotzdessen war die Gruppe nach diesem Erholungstag für ihre letzte große Anstrengung bereit. Busfahrer Manne, für viele inzwischen heimlicher Star der Ausfahrt und nie um einen Kommentar zur Umgebung verlegen, führte den Bus sicher über die schnittigen Kastelruther Straßen und hinauf in eine grüne Almlandschaft. Auch er sollte den Bus erst einen Tag später wiedersehen…
Die Wanderer näherten sich einem Bergmassiv, auf dessen Plateau serpentinenartige, wie in den Berg geschnittene Wege führten, auf die die Sonne erbarmungslos niederstrahlte. Doch der Weg wurde bereichert durch Murmeltiere, die mancherorts zu sehen waren; und als das Plateau schließlich erklommen war, lohnten die Mühen abermals mit einem grandiosen Ausblick: Tiefgrüne Wiesen so weit der Blick reichte, Schottland oder dem Auenland nicht unähnlich; lockten die Gruppe, nach einem weiteren kurzen Marsch Rast an einer beschaulichen Bergunterkunft zumachen, die so manche Köstlichkeit zu bieten hatte. Als die Bergsteiger ausreichend erholt waren, ging es daran, das zweite Ziel des Tages zu erreichen: Rifugio Alpe di Tores, das Schutzhaus Tierser Alpl, das den Wanderern Zuflucht vor der kalten Nacht gewähren sollte.
Ihr Weg führte sie über die hügelige Landschaft und hinein in ein felsiges, steiles Tal, an dessen Ende die Hütte wartete. Das Ziel in Sicht nahmen die Wandergruppen ihre letzte Kraft zusammen und erreichten das Schutzhaus schnellen Schrittes sicher und in nur geringer zeitlicher Differenz voneinander. Innen begann der Kampf um die wenigen Duschen, die sich die erschöpften Bergsteiger mit anderen Reisenden teilen mussten.
Ausgeglichen wurden die Strapazen des Tages durch ein köstliches, viergängiges Mahl, welches das Vertrauen in die Südtiroler Küche wiederkehren ließ. Am glasklaren Firmament zeigten die Sterne ihre Gesichter und luden zum geselligen Verweilen ein; und als schließlich Nachtruhe einkehrte, fielen die Wanderer erschöpft vom Tag in einen ruhigen Schlaf.
Ein farbenfroher Sonnenaufgang eröffnete den nächsten Tag, der von vielen als Fotomotiv genutzt wurde. Bald darauf begann auch schon der Abstieg, diesmal jedoch verkürzt durch eine direktere Route. Wacker wie immer fand Manfred den Weg zurück in ihre beschauliche Heimat, während sich Bedauern über das Ende der Ausfahrt seinen Weg in die Teilnehmer fraß. Die Exkursion sollte zwar zu Ende gehen, doch würden die Erinnerungen an sie auf lange Zeit bleiben.