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Am frühen Morgen des 19. November war es so weit: Eine elf Schülerinnen und Schüler umfassende Gruppe der Jahrgangsstufe 1 (11. Klasse) des Hermann-Hesse-Gymnasiums Calw traf sich mit ihrem Geschichtslehrer Herrn Kuhn und der Studienleiterin des Internationalen Forums Burg Liebenzell Frau Schneider um 6.30 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof, um sich auf die lange Reise nach Polen zu machen. Das Ziel ihrer Reise war Oświęcim, wo sie die polnische Gruppe von Jugendlichen wiedersehen würde, welche Ende Mai eine Woche mit ihnen zusammen auf der Burg Liebenzell verbracht hatte. 

 

Die Hinreise gestaltete sich recht abenteuerlich: Nach einer angenehmen Fahrt mit dem ICE nach Berlin, welche uns vom Zug aus den ersten Schnee des Winters vor Augen führte, kamen wir im Berliner Hauptbahnhof an, der Blicke auf die Reichstagskuppel gewährt und die Schülerinnen und Schüler in aufgeregtes Reisefieber versetzte. Dann begannen die ersten Irrungen und Wirrungen unserer Reise nach Polen. Der Zug, der uns von Berlin nach Poznań bringen sollte, fuhr später als geplant ab, sodass wir nach unserer Fahrt durch die novemberliche Grenzregion von Brandenburg nach Polen auch zu spät in Poznań ankamen, um – wie geplant – den Zug von dort nach Katowice in Oberschlesien zu nehmen.

Die Versuche, uns mit Englisch verständlich zu machen, waren nicht immer von Erfolg gekrönt. Vor allem ältere Polen scheinen eher des Russischen oder des Deutschen als des Englischen mächtig zu sein. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Zug von Poznań nach Katowice führte uns einmal quer durch Westpolen, doch bekamen wir hiervon angesichts der Dunkelheit, die uns bereits wieder umgab, relativ wenig mit. Am späten Abend – gegen 22 Uhr – kamen wir schließlich in Katowice an, wo uns glücklicherweise zwei Transferbusse der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim abholten und nach Oświęcim brachten. Wie schön, dass wir dort dann freundlich und mit einem reichhaltigen Abendessen begrüßt wurden!

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Diese Gastfreundschaft durften wir dann auch in der gesamten folgenden Woche genießen. Am Sonntag gab es ein Wiedersehen mit den polnischen Jugendlichen, welche von ihrer Englischlehrerin Frau Pastuszka und Frau Piotrowska, der Seminarleiterin auf polnischer Seite, begleitet bzw. angeleitet wurden. Nicht zu vergessen die gute Helena, die als Dolmetscherin fungierte und auf deren wichtige Dienste wir noch mehrfach im Laufe der Woche zurückgreifen sollten. 

Im Zentrum der Woche stand der zweite Teil des Seminars zum Thema Diskriminierung gestern – Diskriminierung heute, deren erster Teil in Bad Liebenzell uns u. a. mit der nationalsozialistischen Tötungsaktion der „Euthanasie“ und – damit verbunden – einer Exkursion nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb sowie mit den Methoden der Gestapo und einem Besuch des Hotel Silber als der Zentrale der Gestapo in Württemberg konfrontiert hatte. Die polnische Stadt Oświęcim steht in Gestalt ihres deutschen Namens Auschwitz wie keine andere für den größten organisierten Massenmord der Weltgeschichte, für Holocaust und Shoah. Neu für uns war, dass man im Polnischen mit dem Begriff „Auschwitz“ nicht die Stadt, sondern lediglich die Konzentrationslager Auschwitz I und Auschwitz II (Auschwitz-Birkenau) bezeichnet, was verständlich ist, denn in der knapp 40.000 Einwohner umfassenden Stadt Oświęcim will man auch nicht permanent mit den ehemaligen Konzentrationslagern in Verbindung gebracht werden. Logischerweise standen der Besuch der beiden ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz I und Auschwitz II (Auschwitz-Birkenau) mit intensiver Vor- und Nachbereitung auf dem Programm, daneben ein Tagesausflug in die wohl schönste polnische Stadt, Krakau, wo wir neben einem geführten Stadtrundgang und der Besichtigung des jüdischen Viertels in Kazimierz auch ein Zeitzeugengespräch mit einer Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau sowie einen jüdischen Tanzworkshop durchführen konnten, und verschiedene Workshops mit teilweise offenen Arbeitsaufträgen. Schön war, dass die deutschen und polnischen Jugendlichen gerade in den freieren Gruppenarbeitsphasen einander viel näher kamen, da sie ja gezwungenermaßen direkt miteinander arbeiten mussten.

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Neben dem offiziellen Programm hatten die deutschen Jugendlichen die Gelegenheit, einen Einblick in polnisches Alltagsleben zu bekommen. So erfuhren wir, dass Pilze offensichtlich ein unabdingbarer Bestandteil der polnischen Küche sind, dass eine verbreitete Supermarktkette auf Deutsch übersetzt „Marienkäfer“ heißt, dass es Länder in Europa gibt, in denen man nicht mit dem Euro bezahlen kann und in denen man folglich so etwas wie Wechselstuben braucht, dass polnische Schülerinnen und Schüler ihre Lehrer mit dem Vornamen ansprechen („Frau Magda“), dass auch 16-jährige Jugendliche unbedingt noch zu einem Kinderarzt bzw. einer Kinderärztin gehen müssen und dass es auch in Polen eine Unterscheidung zwischen „normaler“ Polizei und Kriminalpolizei gibt. 

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Nach einer Woche voll intensiver Erfahrungen und Erlebnisse hieß es am 26. November, Abschied zu nehmen. Am Bahnhof warteten wir müde und in Vorfreude auf unser Zuhause auf unseren Bus, der uns – wie so viele polnische Mitreisende – auf einer 17-stündigen Fahrt an den Stuttgarter Flughafen bringen sollte. Wie froh waren wir, als wir alle wieder – müde zwar, aber voll bleibender Erinnerungen – zu Hause ankamen!

Andreas Kuhn 

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