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Unter den zuhörenden Schülern ist es mucksmäuschenstill, als Ernest Kolman als einer der letzten Zeitzeugen von den Schrecken der Nazi-Zeit erzählt. Foto: Schwarzwälder-Bote

Ernest Kolman ist einer der wenigen noch lebenden Zeugen der NS-Zeit. Der 90-Jährige ist aus London gekommen, um seines Onkels Eugen Marx zu gedenken (wir berichteten). Der jüdische Arzt hat von 1929 bis 1933 in Neuweiler praktiziert.

Neuweiler/Calw. Kolman erinnert sich an eine unbeschwerte Zeit, wenn er seinen Onkel Eugen besuchte. Nun ist er, wie der frühere Freudenstädter Pfarrer Ulrich Müller vom Initiativkreis für diese Gedenkwoche sagt, nach 80 Jahren wieder in den Schwarzwald gekommen.
„Was überwunden schien, ist wieder auf dem Vormarsch“

„Die Erinnerung an die NS-Zeit darf nicht enden. Es ist eine Zeit, die wir nicht verdrängen dürfen“, wendet sich Neuweilers Bürgermeister Martin Buchwald gleich zum Auftakt der Gedenkfeier gegen die unselige Schlussstrichdebatte. Dafür gibt es gerade jetzt keinen Grund. Frank Wiehe spricht davon, dass seit rund zwei Jahren ein Riss durch die Zeit geht. „Was überwunden schien, ist wieder auf dem Vormarsch“, stellt der stellvertretende Calwer Landrat fest.

Sechs Millionen ermordete Juden sind eine anonyme, ferne Zahl, sagt Tobias Lehmann, Pfarrer in Neuweiler. Durch Menschen wie Ernest Kolman bekommt das Grauen, dass diesen Menschen durch Deutsche angetan wurde, ein Gesicht. […] Nur manchmal hebt Kolman die Stimme, stampft temperamentvoll mit seinen Stock auf den Boden. Etwa wenn er vom Schicksal der beiden Töchter von Eugen Marx erzählt. Ruth und Rosemarie wurden 1942, neun und elf Jahre alt, in einem Massentransport in die Nähe der heutigen weißrussischen Hauptstadt Minsk gebracht. Dort wurden sie einem Vernichtungslager von den Nazis bestialisch ermordet. Die Gräber für die rund 1000 Opfer waren bei deren Ankunft schon ausgehoben. Bevor Ruth und Rosemarie erschossen werden, müssen sie sich ausziehen. „Stellen Sie sich vor, das wären ihre Kinder oder Ihre Enkel“, ruft Kolman in den Saal.

Kompromisslos geht Kolman in Neuweiler, genauso wie vor angehenden Abiturienten am Calwer Hermann Hesse-Gymnasium, mit dem Antisemitismus ins Gericht. Er schlägt historisch einen großen Bogen von der Römerzeit über die Kreuzzüge im Mittelalter, die NS-Zeit bis in die Gegenwart.

Trotz unerbittlicher Kritik ein Mann der Versöhnung

Dabei vergisst Kolman nicht zu erwähnen, wie tapfer Juden im Ersten Weltkrieg als deutsche Soldaten gekämpft und wie viele Opfer sie gebracht haben. Sie hätten gerade in der Kaiserzeit nach 1871 viel zum wirtschaftlichen Aufschwung des Deutschen Reichs beigetragen. Die Tradition seiner Familie reicht 400 Jahre zurück.

Trotz einer unerbittlichen Kritik ist Kolman ein Mann der Versöhnung. 1988 kam er, 50 Jahre nach der Pogromnacht am 9. November, erstmals wieder nach Wesel. Er besucht nun an diesem Tag seine Heimatstadt am Niederrhein jedes Jahr. Dass er es als einstmals „jüdischer Untermensch zum Ehrenbürger gebracht hat“, erfüllt ihn mit Genugtuung. Als er den Calwer Pennälern erzählt, dass er der letzte noch lebende Jude einer einst 600 Mitglieder umfassenden Gemeinde in Wesel ist, gerät seine Stimme ins Stocken.

Nach 1933 haben sich die Juden nicht mehr gegen die Nazis wehren können. „Die Freiheit, die sie haben, um mir heute zuzuhören, sollen Sie nicht verlieren“, sagt Kolman den Pennälern. Er zitiert Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der USA und von 1801 bis 1809 deren Präsident: Der Preis der Freiheit ist stetige Wachsamkeit.

Eine weitere Gedenkveranstaltung findet am Donnerstag, 29. November, ab 19.30 Uhr in der Remigiuskirche Nagold statt.

Von Alfred Verstl (Schwarzwälder Bote)

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